"Frieden ist eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung"

L Aeschlimann

Lionel Aeschlimann
Geschäftsführender Gesellschafter der Mirabaud Gruppe und CEO von Mirabaud Asset Management

Lionel Aeschlimann ist geschäftsführender Gesellschafter der Mirabaud Gruppe und CEO von Mirabaud Asset Management. Der Jurist und Anwalt stiess Anfang 2010 zur Genfer Privatbanken-Gruppe und wurde ein Jahr später Managing Partner. Aeschlimann war zuvor während rund 15 Jahren Partner der Anwaltskanzlei Schellenberg Wittmer in Genf gewesen.

 

Vom Partner in einer grossen Anwaltskanzlei zum Managing Partner einer Genfer Privatbank: Wie kam es dazu? Was war der Reiz der Vermögensverwaltung für Sie?

Ich hatte einen etwas unkonventionellen Weg bis zu meiner jetzigen Funktion. Wie Sie bereits erwähnt haben, leitete ich vor meinem Eintritt in die Mirabaud-Gruppe als geschäftsführender Gesellschafter die Bank- und Finanzabteilung einer Anwaltskanzlei. Weil das Unternehmen rasch expandierte und von sechs Partnern und neun Anwälten zu einer Kanzlei mit 240 Mitarbeitern anwuchs, konnte ich mit meinem Wechsel zu Mirabaud meinen Unternehmergeist nutzen und die Richtung des Unternehmens bestimmen. Bei meiner Ankunft bei Mirabaud bestand eine meiner ersten Aufgaben darin, die bestehende regionale Struktur in eine Organisation mit Geschäftsbereichen zu verändern. Zu diesem Zeitpunkt begannen wir mit der Entwicklung von Mirabaud Asset Management. Mirabaud ist eine 1819 gegründete Vermögensverwaltungsgesellschaft, die in der Branche für ihr Engagement im Bereich der Kundenbetreuung bekannt ist. Wir waren der festen Überzeugung, dass wir diese Leidenschaft und dieses Engagement bei der Schaffung eines eigenständigen, reinen Vermögensverwaltungsgeschäfts auch erreichen können.Was die Attraktivität der Vermögensverwaltung angeht, so wissen wir, welchen positiven Einfluss diese Branche auf die Zukunft der Menschen hat. Die Verantwortung für die Verwaltung von institutionellen und von Vorsorgegeldern ist nichts, was wir auf die leichte Schulter nehmen. Deshalb sind wir sehr froh, dass wir in den letzten zehn Jahren ein Unternehmen mit vielen aussergewöhnlichen und vielfältigen Talenten aufgebaut haben.

Während dieser rund zehn Jahre bei Mirabaud Asset Management: Welches sind die grössten Veränderungen in der Branche, an die Sie sich anpassen mussten?

Als wir Mirabaud Asset Management gründeten, hatten wir ein unbeschriebenes Blatt Papier und konnten unser Geschäft mit Blick auf die Zukunft gestalten. Wir waren einer der ersten Vermögensverwalter, der die Vorteile der cloudbasierten Technologie voll ausschöpfte. Wie Sie sich vorstellen können, war dies äusserst vorteilhaft, als Covid-19 die ganze Welt dazu zwang dezentral zu arbeiten. Wir haben auch viel darüber nachgedacht, welche Art von Vermögensverwalter wir sein wollen, und es überrascht nicht, dass wir uns entschieden haben, ein rein aktiver Asset Manager zu werden und ESG in vollem Umfang zu berücksichtigen, wobei wir uns die langjährige Tradition der Mirabaud-Gruppe im Bereich der Nachhaltigkeit zunutze machen. Als einer der ersten Unterzeichner der UN PRI, die inzwischen zum Standard geworden sind, haben wir von Anfang an die Integration nichtfinanzieller Kriterien in unsere Anlageprozesse integriert. Es ist äusserst erfreulich, dass sich die Branche in dieser Hinsicht unserem Denken angenähert hat.

Sie teilen Ihre Leidenschaft für das Asset Management mit der für die zeitgenössische Kunst. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den beiden?

Mit einer 200-jährigen Geschichte in der Verwaltung von Kundenvermögen wissen wir besser als die meisten anderen, dass es nicht nur Geld ist, das über Generationen hinweg weitergegeben wird - es ist Kultur. Kunst verbindet uns mit unseren Gefühlen und unserer Spiritualität und hat die Fähigkeit, uns zum Nachdenken über die Menschheit und die Welt anzuregen. Für die Verwaltung von Geld braucht man starke Überzeugungen, aber auch Bescheidenheit, um sich anzupassen, wenn sich die Variablen ändern. Die Fähigkeit zur Neugier ist das Herzstück eines guten Asset Managers und Künstler - vor allem zeitgenössische Künstler - haben die gleiche Eigenschaft. Sie haben die Fähigkeit, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und bieten einzigartige Perspektiven. Zeitgenössische Künstler erinnern uns daran, dass wir unsere Augen offenhalten und bereit sein müssen, uns von den sich ständig verändernden Aspekten des Lebens überraschen zu lassen.

Die Sammlung zeitgenössischer Kunst von Mirabaud ist herausragend: Ist sie auch ein strategischer Wert für Mirabaud, zum Beispiel für die Kundenbindung?

Für Mirabaud ist unsere Kunstsammlung kein strategischer Vermögenswert, da wir sie nie verkaufen werden. Sie ist im Wesentlichen eine Aussage über unsere Werte - sie spiegelt gut wider, wer wir sind und was uns wichtig ist. Wir engagieren uns für die Unterstützung von Künstlern und fördern einen Aspekt, der die Gesellschaft wirklich bereichert.

Mirabaud ist bekannt für ihr Private Banking. Welche Bedeutung und welchen Nutzen hat die Vermögensverwaltung für die Strategie der Bank?

Wie ich bereits angedeutet habe, war die Einrichtung eines Asset Management eine natürliche Erweiterung unseres Geschäfts. Die beiden Geschäftsbereiche haben eine natürliche Synergie und arbeiten von Natur aus miteinander zusammen. Das Fachwissen, die Kenntnisse und die Ideen unserer Anlagespezialisten im Asset Management fliessen direkt in die Arbeit unserer Wealth-Management-Fachleute ein. Dies wiederum unterstreicht unseren starken Fokus auf die Kundenbeziehung und die Qualität unserer Dienstleistungen. Dies wird besonders deutlich, wenn Sie sich unsere Kapazitäten im Bereich Private Assets ansehen. Diese Initiative wurde von Experten aus dem Asset Management vorangetrieben, ist aber auch ein klares strategisches Produkt für unser Wealth Management.

Das Kundenbedürfnis geht immer mehr in Richtung nachhaltige Anlagen. Wie hat Mirabaud ESG in ihre Anlageprozesse integriert?

Wir haben schon bei der Gründung von Mirabaud Asset Management verstanden, wie wichtig es ist, ESG-Aspekte in unsere Anlageprozesse einzubeziehen. Es gibt keine reine Finanzwelt mehr, in der man ökologische, soziale und Governance-Risiken einfach ignorieren kann. Traditionelle Finanzmetrik und ESG-Überlegungen sind zwei Seiten derselben Medaille. Neben dem Positiv- und Negativ-Screening haben wir schon lange das enorme Potenzial des Engagements erkannt. Wir sind überzeugt, dass wir durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen und Stakeholdern zur Verbesserung der ESG-Praktiken langfristig bessere Ergebnisse für die Anleger erzielen können. Wir sind uns jedoch bewusst, dass wir uns auf einer Reise befinden, dass es in vielen Bereichen nach wie vor unzureichende Nachhaltigkeitsdaten gibt und dass die Branche als Ganzes in den nächsten fünf bis zehn Jahren noch viel Arbeit vor sich hat.

Die Schweiz will ein führender Hub für Sustainable Finance sein: Wo steht sie Ihrer Meinung nach heute?

Die Schweiz kann beim Ausbau des nachhaltigen Finanzwesens eine wichtige Rolle spielen. Sie ist bereits ein globales Finanzzentrum mit einer vielfältigen multikulturellen Belegschaft. Sie ist auch Sitz des Internationalen Roten Kreuzes und von mehr als 150 anderen führenden internationalen Entwicklungsorganisationen und NGOs. Diese Organisationen sind für die Förderung einer besseren Welt von entscheidender Bedeutung. Daher ist es für die Schweiz sinnvoll, ihre starken Traditionen und Grundlagen im Finanzbereich zu nutzen, um auch eine treibende Kraft für Verantwortung und Nachhaltigkeit zu sein. Deshalb arbeitet die Mirabaud-Gruppe seit elf Jahren eng mit der internationalen Friedensförderungsorganisation Interpeace zusammen. Frieden ist eine wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, und wir sind stolz darauf, diese Organisation in ihrem Bemühen zu unterstützen, Stabilität, Wachstum und Wohlstand in vielen Teilen der Welt weiter zu fördern.

ESG und Nachhaltigkeit sind globale Anlagetrends: Wie kann sich die Schweiz von der internationalen Konkurrenz abheben?

Meiner Meinung nach geht es nicht so sehr um Differenzierung, sondern vielmehr darum, das starke Fundament zu nutzen, das die Schweiz im Finanzwesen und in der internationalen Entwicklung geschaffen hat, um im ESG- und Nachhaltigkeitsbereich eine führende Rolle zu spielen. Die Schweiz verbindet diesen weltbekannten Finanzplatz mit ihrer globalen Drehscheibe für Multilateralismus und ist damit das perfekte Ökosystem, um Finanzen und die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) zu verbinden. Insgesamt ist es wichtig, dass globales Kapital in Bereiche fliesst, die auf der richtigen Seite des Wandels stehen.