«Um den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden, sind für das Asset Management der Zukunft ‹Blended Skills› zentral.»

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Dr. René Nicolodi
Leiter Equities & Themes und stv. Leiter von Swisscanto Invest

Mit seinem Team verantwortet René Nicolodi alle fundamentalen und regelbasierten Aktienstrategien im liquiden Bereich sowie das Private-Equity-Geschäft. Er ist beruflich seit über 20 Jahren in verschiedenen Funktionen auf Research- und Asset Management-Seite tätig. René Nicolodi ist überdies Vize-Präsident von Swiss Sustainable Finance und nebenberuflich als Dozent für Asset Management und Sustainable Finance an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland tätig.

 

René Nicolodi, was treibt Sie an?
Ich habe von Kindheit an das Interesse geerbt, Neues zu lernen und zu erleben. Damit verbindet sich ein Drang, mit dem erworbenen Wissen und den gemachten Erfahrungen bestehende Grenzen zu verschieben und Veränderungen aktiv zu initiieren. Während ich mich sicherlich nicht nur dann wohl fühle, wenn alles permanent in Bewegung bleibt, ist der Status Quo mittel- und langfristig nicht mein Freund. Der Alltag an den Finanzmärkten bringt schon mal eine positive Spannung mit sich und macht das Asset Management zu einem Ort, an dem neugierige Menschen sich entfalten können.

Auf welchen Werten beruhen Ihre täglichen Handlungen, Entscheidungen, Pläne?

Ich achte besonders darauf, dass meine alltäglichen Handlungen konsistent mit meinen eigenen Überzeugungen und meinen Aussagen gegenüber Dritten sind. Ein hohes Mass an Berechenbarkeit und Authentizität erachte ich als Führungskraft unabdingbar. Meine Kollegen sollen mich einschätzen können. Entsprechend sind für mich persönlich Glaubwürdigkeit, Respekt und Fairness im Umgang miteinander wichtige Eckwerte, an denen ich mich orientiere. Während man mir einen sehr analytisch geprägten Entscheidungsstil zuschreibt, verlasse ich mich heute mehr auf meine Intuition bzw. mein Bauchgefühl – dies vor allem bei Personalentscheiden.

Was war die beste Entscheidung in Ihrer beruflichen Laufbahn?

Ich habe direkt nach dem Gymnasium und eher durch Zufall den Einstieg ins Berufsleben und in die Finanzwelt gefunden. Ich hatte so früh die Möglichkeit, während dem gesamten Studium parallel Praxiserfahrung im Finanzbereich aufzubauen, was eine wichtige und prägende Lebensphase war. Nach dem Studium dann gezielt auf das Nischenthema «Sustainable Finance» zu setzen und es mit einer praxisbegleitenden Dissertation zu verbinden, war damals meine persönliche Überzeugung, aber unbewusst auch eine zentrale berufliche Weichenstellung. Diese habe ich bislang noch keinen Tag bereut.

Welche Ziele verfolgen Sie – beruflich wie privat?

Ich habe schon vor langer Zeit entschieden, dass ich keine konkreten Karriereziele oder Meilensteine verfolgen möchte. Das Leben ist aus meiner Sicht eine Abfolge von Etappen und vielmehr eine Verkettung von Zufällen als ein planbarer Weg. Viel wichtiger ist deshalb die Zufriedenheit im hier und jetzt. Wenn man entlang dieser Etappen versucht sein Bestes zu geben und mit Leidenschaft etwas bewegen will, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sich persönlich sowie beruflich weiterentwickelt. Daraus entstehen oftmals auch neue Opportunitäten, über welche man ex ante möglicherweise gar nicht nachgedacht hätte.

Welchen Stellenwert haben soziale Medien bei Ihnen?

Vermutlich einen zu hohen! LinkedIn dominiert Instagram. Facebook ist definitiv ins Hintertreffen geraten und TikTok kenne ich nur als Geräusch einer tickenden Uhr.

Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spass, was am wenigsten?

Asset Management ist im Kern ein People-Business, welches ein hohes Mass an Fach- und Spezialwissen sowie systematisches Prozessdenken erfordert. Diese Kombination, aber vor allem der Austausch mit Kunden und Experten sowie die Zusammenarbeit mit Kollegen machen Spass. Weniger Freude habe ich an lähmender Bürokratie und mangelnder Kooperationsbereitschaft.

Wo finden Sie in Ihrer Freizeit den Ausgleich?

Meine drei Jungs im Alter von 11, 8 und 6 führen mir täglich das Wesentliche im Leben vor Augen und sind nicht nur ein Ausgleich, sondern mein ganzer Stolz. Zudem kann ich nicht auf regelmässigen Sport verzichten. Einerseits, um den Kopf nach intensiveren Tagen frei zu bekommen und andererseits, um spezifische Ideen für mich in Ruhe durchzudenken. Waren es früher die klassischen Teamsportarten, findet man mich heute öfters im Wald oder in den Bergen beim Ausdauertraining. Ich widme seit einigen Jahren leidenschaftlich und manchmal mit einer gewissen Portion Masochismus dem Trailrunning im Ultrabereich. Die Kombination von physischer Intensität und mentalem Training in der Natur macht diese Sportart für mich so faszinierend.

Was würden Sie heute einem Berufseinsteiger im Asset Management Ihrem jüngeren Selbst empfehlen?

Ich denke, dass eine Kombination aus Leidenschaft für die Finanzmärkte, einem hohen Mass an Neugier und an intrinsischer Motivation eine Kernvoraussetzung ist, um im Asset Mana-gement erfolgreich Fuss zu fassen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern – davon bin ich überzeugt. Konkreter und mit Blick in die Zukunft würde ich heute in sogenannte «blended skills» investieren, also in die Schnittstelle zwischen Finanzwissen, Marktverständnis und Technologie. Das Zusammenspiel von verschiedenen Skills wird zunehmend ein Erfolgsfaktor, um den komplexen Herausforderungen der Industrialisierung und Digitalisierung des Asset Managements gerechter zu werden.

Mit wem würden Sie sich gerne zum Lunch oder Dinner verabreden?

Ich würde mich gerne mit meinem Grossvater zu einem ausgiebigen Dinner treffen. Er wurde 1892 in Italien geboren und starb bereits vor meiner Geburt in den 70er Jahren. Er hat den Wandel der Industrialisierungsepoche in einer frühen Phase gesehen, einen Weltkrieg als Soldat und einen zweiten als Familienvater überlebt sowie unglaublich tiefgreifende Verände-rungen auf gesellschaftlicher, wirtschaftspolitischer und technischer Ebene erlebt. Bei einem guten Glas Wein und einem Teller frischer Pasta wäre das sicherlich ein äusserst spannender und lehrreicher Abend im Familienkreis.

Was ist für Sie im Alter wichtiger, was weniger wichtig?

Ich denke, dass ich heute ein bisschen schneller Nein sagen kann, weil ich den Wert knapper Zeit besser würdige. Gleichzeitig entwickelt man «im Alter» eher eine gewisse Gelassenheit, nicht jedem Trend nachzurennen oder bei Krisen nicht sofort in Panik zu verfallen. Man kann es Resilienz nennen. Auf der anderen Seite befürchte ich manchmal, dass ich mit zuneh-mendem Alter an kreativer Vorstellungskraft und Innovationsenergie abgebe. Entsprechend erachte ich eine fortlaufende Bildung als ein Instrument, um dem aktiv entgegenzuwirken, geistig fit zu bleiben und die Welt von Morgen besser oder zumindest noch ein bisschen länger zu verstehen.

Welche Kindheitserinnerung hat Sie besonders geprägt?

Ich bin in Wiedikon in der Stadt Zürich aufgewachsen. Das ist zwar nicht ein «Melting Pot» wie Berlin-Kreuzberg, aber die eigenen kulturellen Wurzeln und ganz allgemein der multikulturelle Background des «Chreis 3» haben mich mit Sicherheit geprägt. Damit meine ich nicht nur das klare Bekenntnis zum Stadtklub im Letzigrund. Mein engster Freundeskreis stammt auch heute noch aus dieser Zeit. Ich schätze deshalb auch Vielfalt im privaten und beruflichen Alltag in all ihren Facetten.

Welches Buch lesen Sie gerade?

Seit vielen Jahren bin ich ein Fan des «Travelogue-Genres». Ich lese aktuell wieder Soccer War von Richard Kapuscinski. Es handelt um eine kurze, aber eindrückliche Schilderung der Ereignisse rund um den kurzen Konflikt zwischen Honduras und El Salvador im Nachgang eines Fussball-Qualifikationsspiels zur Weltmeisterschaft 1970. Auf dem Nachttisch liegt zudem ungelesen «Deep Adaptation»; der Inhalt dürfte leider wenig Freude machen.